Aus dem Leben einer Buchhändlerin #6 Sexismus

Zum internationalen Frauentag mache ich heute mal einen etwas anderen Post. Ich möchte darüber schreiben, wie ich die Unterscheidung der Geschlechter bei meiner Arbeit erlebe. Das hat weniger mit dem Beruf zu tun, sondern mehr mit dem Verhalten der Kund*innen, deswegen werden diejenigen, die in anderen Bereichen des Einzelhandels arbeiten, sicher machen davon ebenfalls schon erlebt haben.
Vorher möchte ich aber noch erzählen, wie meine Wahrnehmung der geschlechtlichen Ungleichheit war, bevor ich angefangen habe im Buchladen zu arbeiten. Ich würde sagen, ich bin was das angeht sehr privilegiert aufgewachsen. In meiner Familie war das Geschlecht eigentlich nie ein Grund irgendetwas zu dürfen oder nicht zu dürfen. Meine Eltern haben meine Schwester und mich in allen Bereichen schon früh selbst entscheiden lassen und so gab es auch nie Aussagen wie "Sowas machen Mädchen nicht" oder "Das ist doch nichts für Mädchen". Wir durften die Kleidung tragen, die wir wollten, das Spielzeug haben, das wir wollten, den Sport machen, den wir wollten, unsere Zimmer selbst gestalten usw. Ich habe aber als ich älter wurde gemerkt, dass einige Außenstende immer wieder über meine Schwester gesagt haben, dass sie "wie ein Junge" sei und ich "ein richtiges Mädchen". Ich habe dann von Freunden meiner Eltern nur noch "typisches Mädchen Spielzeug" bekommen, während meine Schwester immer "jungenhafte" bekam. Das hat mich irgendwann so sehr gestört, dass ich anfing alles abzulehnen, was als mädchenhaft galt und bis heute würde ich nie auf die Idee kommen, ein Kleid zu tragen, mir rosafarbene Deko zu holen oder mich mit Beauty Kram zu beschäftigen. Ich bin damit heute sehr zufrieden, denn ich Nachhinein wollte ich dieses Zeug schon als Kind nicht, nur wurde es mir aufgezwungen. Nie von meinen Eltern, aber von allen anderen. So richtig aufgefallen ist mir das, als ich auf eine Mädchenschule kam und ich gemerkt habe, dass wir alle total unterschiedlich sind. Es gibt kein "typisches Mädchen", genauso wenig wie einen "typischen Jungen". Es gibt kein mädchenhaft und jungenhaft. Das sind alles nur Bezeichnungen, die sich eine heteronormative Gesellschaft ausgedacht hat, um die Menschen in Kategorien einteilen zu können und eine Ordnung zu haben. In dieser Zeit ging es auch los, dass mir bewusst wurde, dass vor allem die Frauen durch diese Einteilung Nachteile im Leben erfahren. Und bis heute lasse ich keine Gelegenheit aus, um mich weiter über diesen Missstand zu informieren und das Thema wo es nur geht anzusprechen. Denn ich bin der Meinung, wenn man darüber spricht, wenn man aufmerksam darauf macht, dann verliert es seine Selbstverständlichkeit. Deshalb ist das Gendern in der Sprache auch so wichtig. Man muss aufhören, die Frauen in der Ansprache zu ignorieren, denn das beruht nur auf Bequemlichkeit. Eine Bequemlichkeit, die aber dafür sorgt, dass es für Mädchen heute normal ist, dass sie mit männlichen Begriffen angesprochen werden, obwohl es die weiblichen gibt.
Aber genug davon, darüber könnte ich nochmal einen ganzen Beitrag schreiben. Kommen wir jetzt zu dem, was mir erst bewusst wurde, als ich anfing im Buchladen zu arbeiten. Nämlich die Heteronormativität unserer Gesellschaft. Heteronormativität bezeichnet (sehr vereinfacht gesagt) die Normalisierung der Aufteilung der Gesellschaft in zwei Geschlechter, denen bestimmte Eigenschaften zugewiesen werden. Unsere Gesellschaft ist stark geprägt von diesem Denken. Männer haben so zu sein, Frauen haben so zu sein. Die Bedeutung von Wörtern wie männlich und weiblich kommen von der Heteronormativität. Und dabei geht es um Bequemlichkeit, es ist einfacher in diesem System zu denken, zu handeln und zu leben.
Bei der Arbeit ist mir sehr schnell aufgefallen, wie tief verankert diese Aufteilung schon in den Köpfen der Menschen ist. Wenn jemand eine Kinderbuchempfehlung möchte, ist die erste Info, die ich über das Kind bekommen, ob es ein Mädchen oder ein Junge ist. Ich war tatsächlich beim ersten Mal verwirrt von dieser Info, weil ich nicht wusste, was ich damit anfangen soll. Ich hatte ja jahrelang aktiv ausgeblendet, dass es eine solche Unterscheidung gibt. Mir fällt es immer noch jedes Mal schwer, wenn mir jemand diese Info gibt, mich in den/die Kund*in zu versetzten und aus dem Geschlecht Interessen des Kindes abzuleiten. Ich muss es aber in diesem Moment tun, auch wenn sich alles in mir dagegen sträubt. Das unangenehmste Erlebnis war da für mich eine ältere Frau, die mehrere Kinderbücher gesucht hat. Das erste war für ein 6 Monate altes Kind, ich habe ihr also ein Buch gegegben, in dem nur Bilder von Gegenständen abgebildet sind. Es hat sie aber gestört, dass auf dem Cover ein Spielzeugauto zu sehen war, schließlich wäre das Kind ja ein Mädchen. Ich konnte es nicht ignorieren und habe ihr freundlich erklärt, dass ein 6 Monate altes Kind weder weiß, welches Geschlecht es hat, noch bestimmte Interessen haben kann. Es geht nur darum, dem Kind mit dem Buch Gegenstände zu zeigen, die es sehr wahrscheinlich aus seinem Alltag kennt. Das hat sie nicht wirklich verstanden und wollte daher lieber nochmal mit der Mutter reden, ob es okay wäre, dass da ein Auto auf dem Cover ist (sie kam nicht wieder). Das zweite Buch, das sie wollte war für ein 7 jähriges Mädchen, das sportlich sei und eine blühende Fantasie habe. Ich habe ihr dann von einer spannenden Abenteuergeschichte erzählt und sie war begeistert. Als ich ihr das Buch dann aber aus dem Regal holte, war die wirklich entsetzt, dass das Buch grün war und gar kein Glitzer auf dem Cover war. Sie sagte, dass das Buch doch für ein Mädchen sei, da müsse wenigstens Rosa oder Glitzer auf dem Cover sein. Sie hat dann irgendein glitzerndes Buch genommen und das war es. Diese Frau war schon ein extremer Fall, aber sowas erlebe ich jeden Tag. Bereits die kleinsten Kinder werden in dieses zweigeschlechtliche System gezwungen und könnte jedes Mal ausrasten und darf es nicht. Und das wird bei den Erwachsenen nicht besser. Ich weigere mich inzwischen, die Kund*innen zu fragen, ob das Buch für einen Mann oder eine Frau verpackt werden soll, weil ich es lächerlich finde, wie selbst Farben den Geschlechtern zugeordnet werden. Außerdem bin ich es leid, als Antwort auf die Frage sowas zu hören wie "Na, sowas liest doch kein Mann". Warum denn nicht? Dürfen wir jetzt nicht mal mehr lesen, was wir wollen, weil die Gesellschaft das so entscheidet? Trotzdem gibt es Kund*innen, die mir ungefragt sagen, für wen das Geschenk ist und ich hasse mich dann jedes Mal selbst dafür, dass ich darauf reagiere, indem ich das Buch für die Frau in das rote Papier packe und das für den Mann in das blaue.
Ein Punkt, der nicht täglich vorkommt, mir aber immer wieder negativ auffällt, ist auch die Art, wie wir Vekäufer*innen behandelt werden. In dem Buchladen, in dem ich arbeite, arbeiten drei Frauen und zwei Männer. Es ist aber so, dass der Buchhandel eher eine von Frauen dominierte Branche ist, was auch viel damit zu tun hat, wie das Lesen schon in jungen Jahren an die Kinder herangeführt wird, aber das wäre wieder ein Thema für einen ganzen Beitrag. So, bei uns ist es so: Wir haben einen Chef und eine Stellvertretende Geschäftsführerin, es sind also sowohl Mann als auch Frau in der Geschäftsleitung. Das scheint aber für viele Kund*innen sehr ungewöhnlich zu sein, denn anders kann ich mir nicht erklären, dass sie alle annehmen, dass unsere Geschäftsleitung aus den beiden Männern im Team besteht. Fast alle nehmen grundsätzlich an, dass wenn sie mit meinem Kollegen gesprochen haben, das unser Chef war. Bei uns Frauen im Team nimmt das niemand einfach so an. Und dazu mache ich häufig die Erfahrung, dass (vor allem Männer) bevorzugt von den männlichen Kollegen beraten und bedient werden. Wir haben sogar ein paar wenige Kunden, die mich und meine Kolleginnen sogar aktiv ignorieren.
Ich lasse das jetzt mal so stehen, ich denke jede*r kann sich seinen/ihren Teil dazu denken.
Für mich geht es bei Feminismus nicht darum, Frauen besser zu stellen als Männer, aber wir müssen besser gestellt werden als wir es aktuell sind, denn diese willkürliche Unterscheidung beeinflusst unser Leben so stark und in den meisten Fällen unbewusst, dass man nicht mehr sagen kann, dass hier kein Problem vorliegt. Außerdem leiden zwar die Frauen am meisten darunter, aber nicht als einzige. Auch Männern werden Eigenschaften zuwiesen, die sie zu erfüllen haben, ob sie wollen/können oder nicht, sonst sind sie nicht "männlich", sondern "weiblich" und wie wir ja alle wissen, ist "weiblich" eine Beleidigung, wenn damit keine Frau beschrieben wird (mein Augenrollen schwingt hoffentlich mit).
Wir haben ein massives Problem in dieser Gesellschaft, wenn wir uns auf den Schlipps getreten fühlen, sobald jemand aus von uns willkürlich festgesetzten "Norm" ausbricht. Das gilt nicht nur bei den Geschlechtern. Zumal die Einteilung in Mann und Frau sowieso keinen Sinn mehr ergibt, da es eben auch non-binäre Menschen gibt, die ihr Leben nicht diesem System anpassen können. Und ganz egal, ob es uns betrifft oder nicht, ob wir uns diskriminiert fühlen oder nicht, ob wir darunter leiden oder nicht, es gibt Menschen, die betrifft es, die werden diskriminiert und die leiden darunter und das kann man nicht einfach ignorieren, nur weil es einem selbst gut geht.
Wir sind doch alle einfach nur Menschen und das sollte die einzige Bezeichnung für uns sein.

Kommentare

  1. Grandioser Beitrag, dem ich nur in allen Punkten zustimmen kann.

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    1. Danke :) Es ist noch so viel zu tun in dieser Gesellschaft und ich hoffe sehr, dass ich noch erleben werde, dass die Menschen ihre Intoleranz fallen lassen.

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